english version below
Wir freuen uns sehr auf die mittlerweile vierte Einzelausstellung mit dir in unserer Galerie in Berlin. Allen deinen Shows hast du ikonische Titel gegegeben wie „Perlin Noise“, „Livid“ oder „Lumen“. Deine aktuelle Show trägt den Titel „OTO“. Bitte erläutere einmal, woher der Begriff stammt, was er bedeutet und weshalb du „OTO“ zum Titel deiner Ausstellung gewählt hast.
BENEDIKT LEONHARDT: „Oto“ stammt aus dem Japanischen und bezeichnet im weitesten Sinne Klang – jede Form von Laut, vom musikalischen Ton bis zum Geräusch des Alltags. Diese Offenheit des Begriffs, seine poetische Weite, hat mich unmittelbar angesprochen. Doch für mich ist bei der Wahl eines Ausstellungstitels nicht ausschließlich die semantische Bedeutung entscheidend. Vielmehr stehen für mich klangliche Qualität, Rhythmus und typografische Wirkung im Vordergrund. Ich trage mögliche Titel oft lange mit mir – wie ein Echo, das sich in mir festsetzt und reift. Wenn mir dann schließlich das richtige Wort begegnet, ist es weniger eine rationale Entscheidung als vielmehr ein Moment der Übereinstimmung: ein intuitives Wissen, dass Klang, Form und Bildsprache sich gegenseitig durchdringen. „OTO“ vereint in seiner reduzierten Präsenz genau diese Spannung – zwischen Stille und Resonanz, zwischen Bedeutung und Form. Für diese spezifische Bildkonstellation fühlt es sich einfach unvermeidlich richtig an.
Wer deine Malereien kennt, denkt an große Leinwände mehrschichtiger Farbräume in einer Range von intensivem Magenta, metaphysischem Cyan, leuchtendem Orange, tiefgründigen Grüntönen. Singulär traten auch monochrom weiße Malereien auf oder solche mit überblendend pastelligen Farbübergängen. Die Pastelltöne und Modellierungen in Grau-Weiss dominieren die (Farb)Palette deiner neuesten Werkserie für deine Ausstellung „OTO“. Was reizt dich an dieser auf den ersten Blick stark reduzierten Differenzierung von Farbe und ihren Schattierungen?
Auch wenn sich in der aktuellen Werkserie die intensiven, leuchtenden Farbtöne auf den ersten Blick zurückzuziehen scheinen, sind sie keineswegs abwesend. Vielmehr existieren sie als subkutane Ebenen – eingeschlossen in fein nuancierte Schichtungen aus Weiß und farbigen Grautönen. Durch ihre semitransparente Überlagerung offenbaren sich diese darunterliegenden Farbräume nicht direkt, sondern entfalten ihre Wirksamkeit auf subtilere, beinahe meditative Weise. Mich reizt an dieser auf das Wesentliche reduzierten Farbigkeit vor allem die Möglichkeit, Intensität nicht durch Direktheit, sondern durch Zurückhaltung zu erzeugen.
Es geht nicht mehr um die unmittelbare visuelle Präsenz der Farbe, sondern um ihr Nachwirken, ihre latente Energie – um eine Tiefe, die sich dem Betrachter erst im Sehen erschließt. Gleichzeitig ist mir wichtig, dem Betrachtenden keine fertige Lesart vorzugeben. Die Werke fordern eine unvoreingenommene Begegnung, ein Sich-Einlassen ohne kontextuelle Rahmung. Ich empfinde es als zentral, dass sich Wahrnehmung und Interpretation im Moment des Betrachtens entfalten – als offene, individuelle Erfahrung. Kein Text, keine Erklärung kann oder soll dieses Sehen ersetzen.
Wie eingangs von dir beschrieben umfasst „OTO“ ein kategorisch nicht näher zuzuordnendes Ereignis von geräuschhaftem Klang. Als würden Stille und Klang, Schatten und Licht untrennbar ineinander übergehen. Waren deine jüngsten Werkserien von einheitlichen Farbübergängen geprägt, so fällt in deinen neuen Malereien auf, dass sich wie unter einer Oberfläche versteckte Strukturen und Bewegungen in unbestimmten Profilen abbilden. Vergleichbar der Bildwiedergabe sonorer Erscheinungen wie beim Unterwasser-Echolot. Oder sind es eher Assoziationen von Sounds aus primär digital generierten Quellen?
Meine Malereien sind wesentlich durch die Ästhetik digitaler Bildwelten geprägt. Ausgangspunkt vieler Arbeiten sind Fragmentierungen digitaler Screenshots oder fotografischer Details, die ich malerisch in eine analoge Welt überführe. In diesem Prozess transformiere ich die glatten, eindimensionalen Oberflächen des Bildschirms in physisch erfahrbare Bildräume, deren vielschichtige Struktur dem Betrachtenden eine vertiefte visuelle und haptische Wahrnehmung ermöglicht.
Diese Transformation verstehe ich nicht nur als formale Auseinandersetzung, sondern auch als kritische Reflexion eines gegenwärtigen Zeitgefühls – geprägt von der Beschleunigung und Flüchtigkeit digitaler Informationsflüsse. Indem ich digitale Motive entschleunige und in eine körperlich-sinnliche Erfahrbarkeit überführe, werfe ich die Frage auf, wie eine Balance zwischen digitaler Realität und analoger Wirklichkeit aussehen kann. Die malerische Oberfläche wird dabei zur Schnittstelle zweier Erfahrungsmodi – einer hypermedialen, visuell übercodierten Welt und einem physischen, greifbaren Raum.
In deiner Biographie als freischaffender Künstler wechseln Phasen konzentrierten Arbeitens im Studio mit dem Reisen ab. Oft geht es in die Berge aber gerne auch in die Ferne. So reist du gerne nach Asien; und in naher Zukunft möchtest du Japan bereisen. Was inspiriert dich an und in Asien – für deine Malerei aber vielleicht auch für die eigene Lebenskultur?
Obwohl ich bislang nur begrenzt Gelegenheit hatte, Asien persönlich zu bereisen, übt diese Region bereits seit Langem eine starke Faszination auf mich aus – insbesondere Japan. Mein Wissen über die Kultur speist sich bisher vor allem aus Literatur, Film und Gesprächen; dennoch verspüre ich eine besondere Affinität zu bestimmten Aspekten der japanischen Lebensweise. Besonders inspirierend finde ich die philosophischen und ästhetischen Konzepte, die dem alltäglichen Leben wie auch der Kunst zugrunde liegen.
Die enge Verbindung des Menschen zur Natur, der respektvolle Umgang mit der materiellen Welt sowie das Streben nach Reduktion und Klarheit – etwa im Zen-Buddhismus oder in der Gestaltung traditioneller Gärten – sprechen mich in besonderem Maße an. Diese Prinzipien, die sowohl im architektonischen als auch im gestalterischen und spirituellen Ausdruck sichtbar werden, berühren nicht nur meine künstlerische Praxis, sondern regen auch zur Reflexion über das eigene Leben an.
______________________________________________________
We are very much looking forward to the fourth solo exhibition with you in our gallery in Berlin. You have given all your shows iconic titles such as “Perlin Noise”, ‘Livid’ or “Lumen”. Your current show is entitled “OTO”. Please explain where the term comes from, what it means and why you chose “OTO” as the title of your exhibition.
BENEDIKT LEONHARDT: “Oto” comes from the Japanese and refers to sound in the broadest sense – any form of sound, from a musical tone to the noise of everyday life. This openness of the term, its poetic breadth, immediately appealed to me. But for me, the semantic meaning is not the only decisive factor when choosing an exhibition title. Rather, the tonal quality, rhythm and typographic effect are more important to me. I often carry possible titles with me for a long time – like an echo that settles and matures in me. When I finally come across the right word, it is less a rational decision than a moment of agreement: an intuitive knowledge that sound, form and visual language interpenetrate each other. In its reduced presence, “OTO” unites precisely this tension – between silence and resonance, between meaning and form.
Anyone familiar with your paintings will think of large canvases of multi-layered color fields in a range of intense magenta, metaphysical cyan, bright orange and deep green tones. Monochrome white paintings or those with blending pastel color transitions also appeared singularly. The pastel tones and modeling in grey and white dominate the (colour) palette of your latest series of works for your exhibition “OTO”. What appeals to you about this, at first glance, highly reduced differentiation of color and its shades?
Even if the intense, vibrant hues seem to recede at first glance in the current series of works, they are by no means absent. Rather, they exist as subcutaneous levels – enclosed in finely nuanced layers of white and colored shades of grey. Due to their semi-transparent overlapping, these underlying color spaces do not reveal themselves directly, but rather unfold their effectiveness in a subtle, almost meditative way. What appeals to me most about a color scheme reduced to the essentials is the possibility of creating intensity not through directness but through restraint.
It is no longer about the immediate visual presence of the color, but about its after-effect, its latent energy – about a depth that is only revealed to the viewer by seeing the paintings face to face. At the same time, it is important to me to not allow or give the viewer a ready-made interpretation. The works demand an unbiased encounter, an engagement without contextual framing. I consider it central that perception and interpretation unfold in the moment of viewing – as an open, individual experience. No text or explanation can or should replace this way of seeing.
As you described at the beginning, “OTO” encompasses a categorically unclassifiable event of noisy sound. As if silence and sound, shadow and light were inseparable. While your most recent series of works were characterized by uniform color transitions, it is noticeable in your new paintings that structures and movements are depicted, as if hidden beneath a surface. Comparable to the image reproduction of sonorous phenomena, as in an underwater echo sounder. Or are they rather associations of sounds from primarily digitally generated sources?
My paintings are essentially characterized by the aesthetics of digital imagery. The starting point for many of my works is the fragmentation of digital screenshots or photographic details, which I transfer into an analog world through painting. In this process, I transform the smooth, one-dimensional surfaces of the screen into physically tangible pictorial spaces, whose multi-layered structure allows the viewer a deeper visual and haptic perception.
I understand this transformation not only as a formal examination, but also as a critical reflection of a contemporary sense of time – characterized by the acceleration and fleeting nature of digital information flows. By decelerating digital motifs and transforming them into a physical and sensual experience, I raise the question of what a balance between digital reality and analog reality can look like. The painterly surface becomes the interface between two modes of experience – a hypermedia, visually overcoded world and a physical, tangible space.
In your biography phases of concentrated work in the studio alternate with traveling. You often go to the mountains, but you also like to travel further afield. You enjoy traveling to Asia, for example, and in the near future you would like to visit Japan. What inspires you about and in Asia – for your painting but perhaps also for your own life culture?
Although I have only had limited opportunity to travel to Asia personally, I have long been fascinated by this region – especially Japan. My knowledge of the culture has mainly come from literature, movies and conversations, but I feel a special affinity for certain aspects of the Japanese way of life. I find the philosophical and aesthetic concepts that underlie both everyday life and art particularly inspiring.
The close connection between man and nature, the respectful treatment of the material world and the pursuit of reduction and clarity – for example in Zen Buddhism or in the design of traditional gardens – appeal to me in particular. These principles, which are visible in architectural as well as creative and spiritual expression, not only affect my artistic practice, but also encourage me to reflect on my own life.